Die dieselmechanischen Serien-Triebwagen VT 853 - 861 und 866 - 871
Dieselmechanischer Triebwagen der Waggonfabrik Wismar
Aus “Die Triebwagen der Deutschen Reichsbahn im Bild”, Verlag d. ZA d. Deutschen Studentschaft, Darmstadt 1930
VT 853 - 861, 866 - 871
Nach Abschluß der Versuchsfahrten mit dem Probe-Triebwagen bestellte die DRG im Oktober 1925 bei der EVA, Abteilung Wagenbau Wismar neun Triebwagen
nach der Musterzeichnung t1 12 670, die sich von Konzeption den Triebwagen VT 851 / 852 entsprach. Bezeichnet werden diese oft auch als Wismar-Triebwagen.
Geliefert wurden diese 1926/27 und wurden als VT 853 - 861 eingereiht.
Im Januar 1928 wurden sechs weitere, fast baugleiche Triebwagen bestellt, die noch im Verlauf des gleichen Jahres ausgeliefert wurden. Sie erhielten die Be-
zeichnung VT 866 - 871. Die Lieferung der Triebwagen erfolgte vor und während der Abschaffung der 4. Klasse im Mai 1928. Damit gab es im Verlauf der Lieferung
unterschiedliche Raumaufteilungen sowie Sitzpaltzanordnungen, die sich in ihren Varianten durch weitere Umbauten noch vergrößerte.
Beschreibung des Wismar-Maybach-Triebwagens
“Allgemeines
Der nach Art der modernen D-Zugs-Wagen gebaute Triebwagen ist für den gleichwertigen Verkehr in beide
Fahrtrichtungen bestimmt und besitzt an jedem Ende einen Führerstand, welcher mit sämtlichen zur Führung des
Wagens notwendigen Hebeln und Instrumenten ausgerüstet ist. In den äußeren Abmessungen wurde der Wagen
symmetrisch ausgebildet. Bei der Konstruktion wurden die bestehenden Vorschriften eingehalten.
Der mit dem Untergestell verbundene eiserne Wagenkasten ruht auf zwei zweiachsigen Drehgestellen, von welchen
das eine, das Maschinendrehgestell, die Maschinenanlage aufnimmt, während das andere als gewöhnliches
Laufdrehgestell ausgeführt ist. Der Wagenkasten enthält den Fahrgastraum mit zwei breiten, von diesem durch
Wände getrennten Einsteiggängen, einen Gepäckraum und auf der Seite des Maschinendrehgestells den
Maschinenraum.
Der Antrieb erfolgt durch einen raschlaufenden Dieselmotor von 175 PS Höchstleistung über ein viergängiges
Zahnradgetriebe mittels eingebauter Blindwelle und Kuppelstangen auf die Treibachsen des Maschinendrehgestells.
Die Motorbetätigung sowie die Schaltung des Getriebes geschieht von beiden Führerständen aus über Seilzüge,
welche unter dem Wagen-Fußboden an einer Längsseite übersichtlich verlegt und zur Verminderung der Reibung
auf in Wälzlagern gelagerten Seilrollen geführt werden.
Die ganze Maschinenanlage samt den Zubehörteilen ist so bemessen, daß der Wagen auch dem schärfsten
Dauerbetrieb gewachsen ist. Die einer dauernden Wartung bedürfenden Teile sind leicht zugänglich, so daß die
laufenden Instandhaltungsarbeiten auf ein Mindestmaß herabgesetzt werden können.
Die kräftigen Bauart der Maschinenanlage macht den Triebwagen für den Betrieb mit Anhängern besonders
geeignet. Durch das hohe Anzugsvermögen infolge des Anfahrens mit Druckluft kann dem Triebwagen in
besonderen Fällen bei Verzicht auf höhere Geschwindigkeit eine größere Anzahl von Anhängewagen über das
normale Maß hinaus angehängt werden. Die ausgezeichnete Regulierfähigkeit des Motors ermöglicht auch bei den
stark schwankenden Belastungen des normalen Betriebes stets günstige Verbrauchszahlen.”
Aus “Beschreibung und Bedienvorschriften für den dieselmechanischen Maybach-Triebwagen”
Rahmen / Wagenkasten
Der von der Abt. Wagenbau Wismar erbaute Rahmen sowie Wagenkasten entsprachen im wesentlichen den zuvor erbauten Triebwagen VT 851 / 852. Bei gleicher
Wagenkastenlänge wie der VT 852 mit 19 740 mm fiel auf Grund der verwendeten Stangenpuffer der Regelbauart die Länge über Puffer mit 21 040 mm größer aus.
Im Gegensatz zum VT 852 mit den Zwillingsfenstern haben die Serien-Triebwagen normale, 800 mm breite, herablaßbare Fenster.
Dem Führerstand mit den Maschinenraum folgt der Einstiegsraum. Über eine Schiebetür gelangte man in das Traglastenabteil mit zwei an den Außenwänden
angeordneten längsstehenden Bänken. Gefolgt von zwei Großräumen unterschiedlicher Aufteilung sowie Sitzplatzanordnungen. Die Toilette war in der Mitte des
Triebwagens untergebracht, die zusammen mit einer Pendeltür als Trennwand diente. Den Großräumen folgte am anderen Fahrzeugende der zweite Einstiegsraum
sowie der zweite Führerstand. Die Seitenwände waren wie bei den zuvor gebauten Triebwagen im Bereich der Einstiege eingezogen, auf die trapezförmige
Abschrägung der Stirnwände im Bereich der Führerstände wurde bei den Serien-Triebwagen verzichtet. Übergangsmöglichkeiten an den Stirnwänden zu anderen
Fahrzeugen gab es wie bei den anderen beiden Triebwagen nicht.
Innenaufteilung VT 853 - 854
Antriebs- / Laufdrehgestelle
Die Drehgestelle entsprachen ebenfalls denen des Triebwagens VT 852 mit 3500 mm Achsabstand. Die Achslager waren als Gleitlager beim Antriebsdrehgestell und
als Rollenlager beim Laufdrehgestell ausgeführt. Zur Federung wurden wiederum Blattfedern verwendet.
Maschinenanlage / Getriebe
Die Maschineanlage selber als auch die Anordnung der Baugruppen entsprach den beiden zuvor gelieferten Triebwagen. Die 1926/27 gelieferten Triebwagen VT
853 - 861 verfügten über den bereits zuvor eingesetzten Dieselmotors G4a (150 PS). Bei den ab 1928 gelieferten Triebwagen VT 866 - 871 wurde der weiter-
entwicklete Motor G 4b (175 PS) eingesetzt. Als Getriebe fand das mechanische Viergang-Getriebe T 1 Verwendung.
Einbau eines Maybach G 4a-Dieselmotor
(Kompressor aus Platzgründen abgebaut)
in den Wismar-Triebwagen Fabrik Nr. 18451 (1927)
Foto: Unternehmensarchiv der Tognum AG
Hilfsbetriebe - Druckluftanlage
Sowohl die Drucklufterzeugung als auch die Verbraucher entsprachen der denen der zuvor erbauten Triebwagen. Anstelle mit Pfeifen waren die Serien-Triebwagen
mit Tyfone der Bauart Krupp ausgerüstet. Und erhielten bereits mit der Auslieferung über Druckluft angetriebene Scheibenwischer.
Kühlung / Heizung
Das System zur Kühlung des Motorkühlwassers entsprach den zuvor gelieferten Triebwagen. Bei den einigen Triebwagen wurden die Lüfterklappen als 2 Gruppen a
4 Klappen, probeweise auch 2 Gruppen mit 5 kleineren Klappen geliefert. Im Zuge von Umbauarbeiten erfolgte dann der Umbau von 4 auf 5 Klappen. Zur
effektiveren Kühlung verfügten alle Serien-Triebwagen über elektrisch angetriebenen Kühlerlüfter.
Elektrische Ausrüstung
Das 24 Volt-Netz des Triebwagens wurde von einer Bosch-Lichtmaschine S 500 bzw. CT 500 mit 500 W versorgt. Im Stand erfolgte die Versorgung mit einer Varta-
Batterie mit einer Kapazität von 100 Ah. Das Bordnetz diente der Innenbeleuchtung des Triebwagens, der Instrumentenbeleuchtung sowie den Lampen der
Spitzensignale.
Für die Stromversorgung der Kühlerlüfter war ein BBC-Generator (GC 1382) mit 24 V bei 17 A installiert.
Einsatz
Den Beginn ihrer Einsatzzeit erlebten die Triebwagen VT 853, 854 sowie 857 nach ihrer Abnahmen 1926/27 in der Rbd Stuttgart. Dabei wurden die VT 853 und VT
854 im Stuttgarter Vorortverkehr i.d.R. mit zwei 2-achsigen Mitteleinstiegswagen eingesetzt. Ab 1935 wurden beide Triebwagen nach Waren/Müritz umbeheimatet.
VT 857 legte vom Bw Ulm aus monatlich etwa 7 000 km zurück. Dieser Triebwagen wurden ebenfalls 1935, in die Rbd Nainz umbeheimat.
Vier Triebwagen, VT 858, 858, 870 und 871 wurden in der Rbd Mainz in Betrieb genommen. Diese legten monatlich 5 700 km zurück. Ab 1937 wurden alle Trieb-
wagen nach Oberlahnstein umbeheimatet.
Drei weitere Triebwagen, VT 860, 861 und 868 gelangten zur Rbd Schwerin und legten zwischen Schwerin, Rostock sowie Neustrelitz täglich etwa 250 km zurück.
VT 855 sowie 856 kamen zur Rbd Elberfeld und wurden 1936 nach Waren/Müritz bzw. 1931 in die Rbd. Mainz abgegeben.
Zur Rbd Osten gelangten VT 866 sowie 867 und als Einzelgänger VT 869 zur Rbd Kassel. Letztere wurde ab 1933 ebenfalls nach Waren/Müritz umbeheimatet.
Mit Beginn des 2.Weltkrieges wurden die dieselmechanischen Triebwagen zunächst stillgelegt, dann 10 der 15 Triebwagen von der Wehrmacht in Eisenbahn-
Batterien eingesetzt. 9 Triebwagen waren unmittelbare Kriegsverluste, von den verbleibenden 6 Triebwagen wurden jedoch VT 860 bereits 1944 und 853 im April
1945 ausgemustert. VT 856, 857 und 871 verblieben bei der DR, lediglich der VT 856 lief bis in die 60er Jahre beim Bw Bitterfeld.
VT 859 gelangte als einziges Fahrzeug zur DB und erhielt dort die Betriebsnummer VT 65 903.
Bauartänderungen
Austausch des Dieselmotors G 4a (150 PS) bei den Triebwagen VT 853 - 861 gegen den weiterentwickelten Motor G 4b mit 175 PS.
Umfangreiche Umbauten der Inneneinrichtung einschließlich des Grundrisses im Zuge der Änderungen des Klassensystems.
Als weitere Änderungen wurden an allen Fahrzeugen durchgeführt:
- Einbau eines Motor-Höhrrohrs
- Umbau der Auspuffanlage
- Scheibenwischer mit Druckluftantrieb
- Rollvorhänge im Führerstand
- Einbau eines doppelpoligen Batterhauptschalters
- Einbau der Ks-Bremse
- Anbau Signalstützen
- Einbau eines Unterflur-Koksofens für den Warmwasserheizung
- Einbau einer Heizung für Kühlwasservorwärmung
Änderungen an einzelnen Fahrzeugen durchgeführt:
- Kühlwasservorwärmung durch Heizpatrone (VT 854, 870)
- Einbau einer 2ten Lichtmaschine (VT 856, 861)
- Einbau Luftsaugern in den Füherständen (VT 857, 870)
- Einbau einer Kühlwasserstandsüberwachung (VT 853 - 857, 859, 860, 871)
- Einbau Öldruckkontrolle (VT 869)
- Einbau von Sekuritscheiben im Führerstand (VT 870)
- Anschluß Licht-Ortsnetz (VT 853)
- Einbau Sifa (VT 868 - 871)
- Einbau von Betten (VT 855, 858, 860, 866, 870, 871)
1950 Austausch des Dieselmotors G4b (175 PS) beim Triebwagen VT 65 903 gegen den Motor GO 5h mit 210 PS sowie des Getriebes T1 gegen T2a. Da der Motor
GO 5h über keinen Hochdruckverdichter verfügte, Einbau eines Knorr-Luftverdichters (V70/150). Mit der Neumotorisierung konnte die Höchstgeschwindigkeit von 60
auf 80 km/h heraufgesetzt werden.